Studentenleben in Shanghai – Erste Eindrücke von Stadt und Studium

Redaktion Ausbildung und Berufsgründung

Niklas Heese studiert Architektur an der TU München und absolviert von September 2015 bis Juli 2016 ein Auslandsjahr an der Tongji Universität in Shanghai. In dieser Zeit wird er an dieser Stelle über das Studentenleben in China berichten.

Shanghai, 23 Millionen Einwohner groß, kann einem ganz klein vorkommen, je nach der Perspektive, die man einnimmt. Am kleinsten wirkt die Riesenstadt, wenn man sich an einer Tür den Kopf stößt und jedes Mal, wenn der Streetfood Stand nur Kinderstühle zum Sitzen hat. Wie groß das alles hier wirklich ist, kann man besten von oben sehen. Aus der Bar im World Financial Center sieht man nicht nur die anderen Wolkenkratzer im Finanzdistrikt Lujiazui. Bei gutem Wetter erkennt man auch, wie weit sich die Wohntürme Shanghais in Richtung Horizont ausbreiten.

Trotz der Größe ist es allerdings sehr leicht, sich im inneren Shanghai zurecht zu finden. Der Huangpu River windet sich mitten durch die Stadt und trennt sie in West und Ost, Puxi und Pudong. An einer Schleife siedelten sich Mitte des 19. Jahrhunderts Engländer nördlich der historischen Hafenstadt Shanghai an, heute hat man dort vom Bund aus den besten Blick auf die Skyline auf der anderen Seite. Dort enden die Einkaufsmeile Nanjing Road, die Verkehrsader Yan’an Road und der Fluss Suzhou. Südlich des Bunds liegt Old Shanghai mit dem Yu Yuan Garten. Westlich davon schließen an die Yan’an Road im Norden das Viertel Jing’an und im Süden die French Concession an. Noch weiter südlich liegen der West Bund und das Expogelände. Ein wenig abseits des Zentrums liegt im Nordosten der Siping Road Campus der Tongji Universität. Mit der U-Bahn ist alles gut zu erreichen und wenn sie nach 10 nicht mehr fährt, nimmt man sich ein günstiges Taxi.

Eine der ersten Erfahrungen in Shanghai ist die besondere Art der Taxifahrer. Oft halten sie nicht an. Wenn man eins bekommen hat, wollen sie in bestimmte Richtungen nicht fahren und wenn man dann am Ziel vorbeigefahren ist, wollen sie nicht umkehren. Lukas, der Freund, der mit mir durch Thailand und Myanmar gereist und die erste Woche noch hier in Shanghai ist, kann die Fahrer noch weniger leiden als ich. Die sind in der Regel schon in Ordnung aber schwer von Begriff. Die meisten Chinesen, die ich hier treffe sind sehr offen und hilfsbereit. Manche von ihnen sind so fasziniert von Europäern, dass sie entweder nach Photos mit ihnen fragen, oder einfach heimlich Selfies mit den foreigners machen. Das und das ständige auf die Straße Spucken sind zwar nach deutschen Maßstäben unmöglich, auf der anderen Seite sind die meisten sehr freundlich und ich komme gut mit ihnen klar. So ganz verstehe ich die Chinesen noch nicht, mal sehen, wie das in einem Jahr aussieht.

Dass hier alles etwas anders angegangen wird, sehe ich auch bald in der Uni. Der Campus ist ziemlich belebt durch die unzähligen Studenten, die auf dem Areal leben. Die internationalen Studenten wohnen in zwei Wohnheimen im Norden, direkt bei den Gebäuden des College of Architecture and Urban Planning. Als ich an den Massen an Fahrrädern vorbei ins Wohnheim komme und den Wachmann grüße, raucht der entspannt seine Zigaretten im Rauchverbot. Wenn man Besuch bringt, behält er sich manchmal die Reisepässe da. Die Organisation ist nicht mit Deutschland zu vergleichen, aber das war zu erwarten.

Das Zimmer im Wohnheim teile ich mir mit Maximilian Waske, der schon in München mit mir studiert hat. Wir haben die gleichen Fächer gewählt und arbeiten zusammen an mehreren Gruppenprojekten. So stört es auch keinen, wenn wir vor einer Entwurfsabgabe in die Nacht arbeiten. Über ihn beschweren kann ich mich nicht, er liest auch diesen Artikel.

Unser Entwurfsfach dieses Semester nennt sich Creative Architecture. Professor Qinsan Ciao hat einen interessanten Entwurfsansatz, den sie uns vermitteln will: Be more specific, ist ihr Mantra. Egal, wie weit hergeholt, wir sollen persönliche Geschichten in einen Entwurf umsetzen. Wenn ihr eine Entwurfsgeschichte gefällt, schweift sie ab und erzählt von ihrer Großtante und ihren zwei Freundinnen. Oder sie gefällt ihr nicht und schweift trotzdem ab, in jedem Fall wird das Ergebnis sein: Be more specific. Ein riesen Unterschied zu München ist der Kontakt zur Professorin – statt 150 Studenten in einem Entwurfsfach sind wir 25, Karaoke-Exkursion ist in Planung.

Als Kurzentwurf sollen wir zunächst an einem beliebigen Ort in Shanghai einen multi-faith pavilion entwerfen. Die Professorin stellt sich darunter einen Ort der Spiritualität vor, dessen Entwurf sich auf persönliche spirituelle Erfahrungen, Traditionen oder ortsbezogene Geschichten stützen soll. Anders als der Name suggeriert, sollen wir uns, um den Entwurf spezifischer zu machen, auf eine Form der Spiritualität festlegen. Das interessanteste daran sind die Präsentationen der anderen Studenten, jeder hat einen anderen Zugang zu dem Thema und genau so unterschiedlich sind die Entwürfe.

Mein Stundenplan ist ziemlich voll. Außer dem Entwurf habe ich: Climate Responsive Design Methods, einen kurzen Entwurf mit Fokus auf Energieeffizienz. Generation ist eine Einführung in parametrisches Entwerfen und digitale Fabrikation. Comparative Studies on Chinese and German Architecture hält Dekan Li, der besser Deutsch als Englisch spricht und ein Fan deutscher Architektur ist. Er hat ein paar ziemlich interessante Gastvorträge organisiert, unter anderem von Nikolaus Goetze, der in Shanghai für von Gerkan Marg und Partner arbeitet. Desweiteren habe ich Mapping the City, wo es um den Einfluss von Karten auf den Entwurfsprozess geht und zwei Fächer auf Deutsch, Chinas Gesellschaft und Kultur und Zeitgenössische Kunst in China. Nicht zuletzt habe ich noch fünf Stunden die Woche Chinesisch Sprachkurs.

Bei all den Veranstaltungen bleibt aber noch genug Zeit, die Stadt zu sehen. In Shanghai kann man sehr gut ausgehen. Von der Studentenbar bis zum Afterclub gibt es eine Unmenge an Gelegenheiten, mit den neuen Freunden die Stadt kennen zu lernen. Es gibt Orte zum Weggehen für jede Uhrzeit und jeden Geschmack. Auch das Essen ist sehr gut. Wenn man nachts auf dem Heimweg noch Lust auf Essen hat, gibt es genug Händler, die sich mit ihren an Fahrrädern montierten Essensständen an den Kreuzungen zusammenfinden. Dort bereiten sie Nudel- und Reisgerichte aus Woks, Grillspieße und alles mögliche frisch zu, bis sie ein Polizist verscheucht. Dann radeln sie nach und nach davon und suchen sich neue Plätze. Wann sie schlafen, ist mir nicht ganz klar. Ich kauf also noch eine Tüte Nudeln vor der Uni und mach mich auf den Weg ins Wohnheim. Es ist 2 Uhr nachts. Als ich ins Zimmer komme, sitzt Max noch vor AutoCAD. Willkommen zu Hause.

 

 

Niklas Heese
Architekturstudent