Studentenleben in China – Mein erster Eindruck von Beijing

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Mein erster Eindruck von Beijing ist meinem ersten Eindruck von China sehr ähnlich. Unglaublich groß, die Luft ist schlecht und niemand versteht was ich sage. Tatsächlich ist Beijing in vielen Punkten sehr chinesisch. Beijing ist im Großen so anders als Shanghai, wie im Kleinen das Hutong-Haus anders ist als das Shikumen-Haus (das eine ein Hoftypus, im Stil rein chinesisch, das andere eine Vermischung von chinesischer und westlicher Architektur, beide bedroht durch den aktuellen Bauboom).

Die Verschiedenheit der beiden Städte fängt bei ihrer Geschichte an: Shanghai machten ausländische Händler zu einer Stadt von internationaler Bedeutung, während Beijings Vorgeschichte als politisches Zentrum um Jahrhunderte weiter zurückreicht. Anders als in Shanghai, wo sich mancher Chinese, der aus einer streng gerasterten Planstadt kommt, in den verwinkelten Straßen nicht zurechtfindet, regiert in Beijing der rechte Winkel. In der Ming-Dynastie – Anfang des 15. Jahrhunderts – wurde das Raster inklusive der verbotenen Stadt als geometrischem wie machtpolitischem Zentrum installiert.
Ebenso klar und leicht verständlich wie der Aufbau der Stadt ist die Aussprache der Beijinger. Ich verstehe deutlich mehr von dem, was die Leute in der Metro reden. Dafür scheinen sie weniger mit meinem gebrochenen Chinesisch anfangen zu können und Englisch konnte zumindest am Bahnhof auch kaum jemand. Ich fühle mich an meinem ersten Tag in Beijing also stark an meine erste Woche in Shanghai erinnert, als ich noch keine Ahnung von der Stadt hatte, die mir mittlerweile ans Herz gewachsen ist.

Maxi, den ich aus unserer Straße in München kenne und bei dem ich in Beijing netterweise wohnen darf, ist seit zwei Monaten hier. Dementsprechend euphorisch ist noch seine Stimmung, auch wenn er in erster Linie zum arbeiten hier ist. Zusammen mit seinen Leuten aus der Arbeit gehen wir essen und trinken in Sanlitun, einem lebendigen Viertel östlich des Zentrums. Clubs, Bars, Restaurants reihen sich hier aneinander und Massen an Streetfood-Wägen verstellen die Gehwege bis spät in die Nacht. Zumindest hier wirkt Beijings Nachtleben aufregender als das von Shanghai. Allein das ist schon ein Grund, noch einmal herzukommen.

Doch es gibt noch mehr. Zum Beispiel den Platz des himmlischen Friedens und die dort beginnende verbotene Stadt. Es gibt wohl nur wenige so eindrucksvolle Beispiele für die Manifestation von Machtstrukturen und Ideologien in Architektur. So blickt der große Vorsitzende Mao Zedong aus seinem Bilderrahmen vom zentralen (unzugänglichen) Eingang der verbotenen Stadt über den überdimensionalen Tiananmen-Platz mit der großen Halle des Volkes im Westen und dem durch das Hamburger Büro von Gerkan Marg und Partner erneuerten Chinesischen Nationalmuseum im Osten auf sein eigenes ebenso monumentales Mausoleum. Wie so oft in China gilt hier: Groß ist gut.

 Wetterunabhängig: Touristen auf dem Weg durch die verbotene StadtDer Aufbau der verbotenen Stadt ist streng axialsymmetrisch um den dem Kaiser vorbehaltenen Weg durch die Folge an Höfen aufgebaut. Heute werden die Besucher von Süden nach Norden Ein Chinese begutachtet die verbotene Stadt von obendurch die verbotene Stadt geleitet, immer runter in die weiten Höfe und wieder hoch zu den Palastgebäuden. Die meisten Touristen halten sich an diesen geradlinigen, kürzesten Weg durch die Palastanlage. Sie lassen sich nicht irritieren von den Kunstsammlungen des Palastmuseums in den teilweise zugänglichen Teilen des Palasts zu beiden Seiten der Haupthöfe. Dort werden in zahlreichen kleineren Gebäuden kaiserliche Kalligraphien, Tuschemalerei und private Gegenstände der Kaiser der letzten Dynastien im Rahmen der bedeutendsten Sammlung chinesischer Kunst gezeigt. Am nördlichen Ende des Kaiserpalasts überqueren die Massen an Besuchern den Wassergraben, der das ganze umgibt, und steigen auf den Kohlehügel, der aus dem Abraum des Wassergrabens aufgeschüttet wurde. Von dem Tempel auf dessen Spitze haben sie nämlich den Blick, für den sie eigentlich gekommen sind: Die verbotene Stadt liegt ihnen zu Füßen.

Die CCTV Headquarters im SmogIm Osten der Stadt steht ein merkwürdiges Gebäude. So riesengroß wie es ist, sieht man schon von weit weg die Enden seiner zwei Türme in einer L-förmigen Auskragung zu einander finden. Von nahem sieht man dann, dass die Türme auch auf Straßenniveau durch ein in die entgegengesetzte Richtung gewandtes L verbunden sind: Die CCTV Headquarters, die Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens, sind ein zur Schleife gefalteter Wolkenkratzer. Als 24-Stunden-Gebäude, ist es mehr eine zu einem zusammenhängenden Kreislauf aus Studios und Büros und Kantinen und Fitnessstudios und allen möglichen Nutzungen kurzgeschlossene Stadt als ein einfaches Bürogebäude. Auf der Fassade zeigt der Entwurf des Office for Metropolitan Architecture seine aussteifende Struktur, die in ihrer computergeneriert-unerklärlichen Ästhetik mehr an ein Fischernetz erinnert, das über der ungewöhnlichen Form hängt.

Nach der Pekingente am letzten Abend bin ich endgültig von der Stadt überzeugt. Mein positiver Eindruck verstärkt sich, als Beijing am Morgen meiner Abreise all seinen Smog und Nebel der Vortage herunterzieht und mich davon überzeugt, einen späteren Zug zu nehmen und mich noch ein wenig in dem Architektur-Zoo umzusehen, der Beijing heißt (so spontan wie es klingt, war es natürlich nicht). So bin ich unter anderem bei bestem Wetter bei Linked Hybrid, wo Steven Holl abstrakte Mixed-Use-Türme durch Brücken verbunden hat. Und auch Zaha Hadids Soho-Galaxy-Bälle, die in parametrisch und doch schlicht in der Stadt sitzen, habe ich mir (zumindest von außen) nicht entgehen lassen.

Linked Hybrid bei bestem Wetter Galaxy Soho, wie alle Gebäude der Soho Gruppe in schwarz und weiß gehalten

Zurück in Shanghai geht es wieder an die Arbeit.

Unser Entwurfsfach heißt „Regeneration of a Dwelling Block in Old Chinese Town, Shanghai“ und wird von einer chinesischen Professorin gegeben, die gut deutsch spricht. Das Ziel, das der Entwurf verfolgen soll, ist nichts weniger als die Wiederbelebung eines heruntergekommenen Wohnviertels, das wie viele andere kurz vor dem Abriss steht. Das Entwurfsgebiet ist in der Chinesenstadt gelegen, nicht weit des kaiserlichen Yu Yuan Garten, einem der am meisten von Touristen überlaufenen Orte in Shanghai. Die Architektur ist von der Sorte, die nach und nach vom Angesicht Shanghais verschwindet, ein Shikumen-Hybrid aus chinesischen und europäischen Elementen. Die Gassen zwischen den Häusern sind eng und verwinkelt, Wäscheleinen spenden ein wenig Schatten, ein paar ältere Chinesinnen spielen Karten unter einem schiefen Sonnenschirm.

Bei den Besichtigungen vor Ort – in viele der Höfe und Häuser wird man gerne hereingelassen – wird ein Aspekt des Projekts klar, der für die Recherche entscheidend ist: Wenn wir mit den – realen – Bewohnern des Entwurfsgebiets reden, müssen wir uns bewusst sein, dass die Situation für sie Realität ist, kein Gedankenspiel und keine Übung, und wir mit entsprechender Vorsicht auf die Bewohner zugehen sollten.

Gefuehlt-schon-im-Urlaub--Miss-Yu-ist-gut-gelaunt-denn-bald-kann-sie-hier-wegIch arbeite in dem Fach mit Christian zusammen, einem Innenarchitektur-Student aus Stuttgart. Zusammen mit ihm und einem chinesischen Freund haben wir Interviews mit Bewohnern des Blocks durchgeführt. Was wir von ihnen erfahren, stellt das Entwurfsstudio an sich in Frage: Der Block ist nur noch zu 5% bewohnt. Der Rest der ehemaligen Bewohner hat einer Neubebauung des Areals zugestimmt und ist weggezogen. Man kann es ihnen nicht übelnehmen – sie werden großzügig entschädigt, wie uns Frau Yu erzählt, die nach eigenen Angaben hier geboren und aufgewachsen ist. Sie wohne nur noch mit ihrer Tochter in ihrem Haus, um noch mehr Geld von der Regierung zu bekommen. Unter keinen Umständen würde sie hier länger bleiben wollen, egal, wie hygienisch und modern man die Siedlung sanieren könne.

Für uns stellt sich nun die Frage: Was gibt es dann noch zu „regenerieren“?

Soviel kann ich schon vorwegnehmen: Selbstverständlich hat das Viertel noch die Chance, etwas Besseres zu werden, als ein Einkaufszentrum oder eine leblose Wohnbatterie. Wir müssen jetzt eine Lösung finden, die den so charakteristischen Charme der kleinteiligen Siedlungen in Shanghai erhält und doch neues Leben hereinbringt. Damit Shanghai und Beijing weiter so unterschiedlich bleiben und (nicht vergessen: es ist nur ein Uni-Projekt) damit unserer Professorin bei der Endpräsentation nicht langweilig wird.

Dazu mehr im nächsten Artikel! Für kontinuierliche Updates aus Shanghai folgt man am besten @NiklasHeese auf Twitter.

 

Niklas Heese
Architekturstudent

 

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