Vor zwei Wochen war ich zu Besuch bei einem alten Freund in Shanghai. Victor ist wie ich vor zwei Jahren für ein Auslandsjahr in China und studiert an der Tongji Universität, allerdings nicht Architektur. Nach einem Semester in Jiading, eine Stunde vom Zentrum entfernt, wohnt er jetzt super zentral und man merkt ihm an, dass er mit der Stadt seinen Spaß hat. Wie viele in unserem Semester, als ich dort war, photographiert er jetzt analog, das scheint so eine Shanghai-Sache zu sein.
Zum Entwickeln gehen wir durch ein renoviertes Lilong-Viertel nahe Metro West Nanjing. Der Photo-Shop wirkt einerseits improvisiert, hineingezwängt in ein kaum verändertes Lilong-Reihenhaus; andererseits liegt er in unmittelbarer Nähe zu den neuen Türmen und Luxury-Lilong bei der Metro. Die Angestellten sehen seltsam hip aus und arbeiten an anständigen Rechnern. Es ist einer dieser chinesischen Momente, in denen man alles recht schlecht einschätzen kann.
Alles ist beim Alten, jedenfalls auf den ersten Blick. Ein paar Restaurants und Bars kenne ich noch, manche sind unerklärlich uncool geworden, manche sind ganz verschwunden. Ein Restaurant, das damals schon cool war, mit seinen Schaukeln und seiner Rutsche, ist Daliah in West Beijing Road – jetzt ist es zehnmal cooler. Spring Festival Papier-Drachen fliegen durch den Raum und zum besten Wiener Schnitzel der 23-Millionen-Stadt trinkt man Gin aus lebensgroßen Puppen-Köpfen.
Die Betreiberin ist Wienerin, Samstag sind wir bei einer ihrer Partys und ich höre mehr Schmäh als letzten Monat in Wien, „ur-zach, de Polizei war da“.
Zum Abschied laufen wir mit einem Tsingtao Bier durch die Mischung aus Hard-Rock Cafés und Burger-Läden, die neue Nutzung der historischen Reihenhäuser.
In Shanghai sind noch meine Gedanken, als ich jetzt kurze Zeit später im Audimax sitze. Es ist Semester-Einführung, jeder Lehrstuhl präsentiert sein Kursangebot, was sich ziemlich zieht. Parallel arrangieren die Studenten die Reihenfolge ihrer Wunschkurse auf ihren Handys. Die automatische Zuweisung zu den Entwurfsfächern erfolgt per Los und ist jedes Mal recht schwer nachzuvollziehen.
Francis Kéré zeigt einen kurzen Film zu seinem Entwurfs-Studio. Laute, afrikanische Trommeln (ich denke aus Mali) erschüttern den Raum – ziemlich eindrucksvoll im Vergleich zu Professor Fink, der seine ersten Sätze am Mikrofon vorbei flüstert. Entworfen wird bei Kéré ein Forschungszentrum in Mali. Der Architekt aus Burkina Faso wurde vergangenes Semester an die TUM berufen, wofür eigens der Lehrstuhl für Architectural Design and Participation geschaffen wurde. Erst letztes Jahr gab es zu seiner Arbeit auch eine Ausstellung im Architekturmuseum der TUM.
Dieses Semester heißt mein Entwurfsfach Studio Krucker Bates: Studies of Sameness. Mansion block living in Edinburgh.
Der Mansion Block ist eine britische Wohnhaus-Typologie, die Ende des 19. Jh. die Vorzüge von Villa und Geschosswohnungsbau vereinen sollte. Ein frühes Beispiel, Albert Hall Mansions in London, erinnert mit seinen komplexen internen Verbindungen zwischen verschiedenen Wohnungen und gemeinsam genutzten Teilen an ein Suchbild aus einem Kinderbuch.
Der Lehrstuhl bietet jedes Semester einen strukturierten, anspruchsvollen Wohnungsbau-Entwurf in Englischer Sprache an. Die letzten Semester habe ich schon versucht einen Platz zu bekommen, dieses Mal klappt es. Laura und Lucia, beide aus meinem Bachelor-Jahrgang, und ich sind das Team und starten direkt mit der ersten Aufgabe: Found moments.
Ziel der Aufgabe ist es, ein Photo einer räumlichen Situation in einem Modellphoto exakt nachzubilden. Die Situation soll im weiteren Verlauf des Entwurfs als Referenz dienen.
In diesem Moment kleben und drucken wir schon, zweites Semester Master startet.
Ich freue mich auf eure Kommentare
Niklas Heese
Architekturstudent