Mit Urteil vom 04.07.2019 (EuGH, Urteil vom 04.07.2019, Rs. C 377/17) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der HOAI gegen europäisches Recht verstößt. Der Bundesrepublik Deutschland wurde Zeit gegeben, gesetzlich nachzubessern, doch das dauert. Was passiert in der Zwischenzeit mit bereits laufenden Klagen auf Mindesthonorar?
Seit der Entscheidung des EuGHs wurde bundesweit an Landgerichten und Oberlandesgerichten bereits über eine ganze Reihe von Klagen auf Mindesthonorar entschieden. Dies geschah – je nach dem bei welchem Gericht (in Berlin sogar, bei welchem Senat) die Klage entschieden wurde – in so unterschiedlicher Weise, dass der Spruch „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ nahelag.
Der Hintergrund dafür ist Rechtsunsicherheit, wie weit sich das europäische Recht unmittelbar auswirken kann.
Es kristallisierten sich die folgenden beiden Meinungen heraus:
Nach der einen Auffassung ändert die Rechtsprechung des EUGHs erst einmal nichts. Demnach haben die Mindestsätze der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiterhin Geltung, solange bis der Bundesgesetzgeber die HOAI aufhebt (KG Berlin, Beschluss vom 19.08.2019 – 21 U 20/19). Der Hintergrund dafür ist formeller Art:
europäische Richtlinien wirken grundsätzlich nur unmittelbar gegenüber den einzelnen Mitgliedsstaaten und nur mittelbar gegenüber Privatpersonen, nämlich erst dann, wenn das europäische Recht vom Mitgliedsstaat in nationales Recht umgewandelt wurde. Vorliegend hat der EuGH der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der EU mitgeteilt, dass Deutschland mit der HOAI gegen europäisches Recht verstößt und dies ändern muss. Für Privatpersonen in Deutschland hat das nach diesem Prinzip rechtlich grundsätzlich erst einmal keine direkten Auswirkungen.
Das hieße, die HOAI gilt bis zu ihrer Aufhebung durch den Bundesgesetzgeber erst einmal unverändert weiter. Klagen auf Mindesthonorar sind demnach weiter möglich.
Nach anderer Ansicht sind mit dem Urteil des EuGHs die Vorschriften zu den Mindestsätzen in der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen durch die deutschen Gerichte nicht mehr anzuwenden (KG Berlin, Urteil vom 13.09.2019 – 7 U 87/18; OLG Celle, Urteil vom 14.08.2019 – 14 U 109/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2019 – 23 U 155/18).
Dies wird damit begründet, dass im Falle einer weiteren Anwendung der HOAI die Gerichte ganz offensichtlich entgegen der Entscheidung des EuGHs und damit offen europarechtswidrig entscheiden würden. Es wird auch vertreten, dass der Grundsatz, dass Richtlinien keine unmittelbare Wirkung entfalten, hier ausnahmsweise durchbrochen werden müsse.
Nun gelangte ein solcher Fall zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe, dem höchsten deutschen Zivilgericht. Die Erwartungen waren hoch, dass hier ein Machtwort gesprochen wird zwischen den beiden Gegensätzen: die formaljuristische Ansicht einerseits, die im Ergebnis dem allgemeinen Rechtsempfinden widerspricht und der „ergebnisorientierte“ Auffassung andererseits, bei der das Ergebnis zwar nachvollziehbar ist, aber nur unter erheblichen juristischen Verrenkungen erreicht werden kann.
Der BGH hat kein Machtwort gesprochen.
Stattdessen hat er dieses Problem dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH soll sich also mit diesem Problem auseinandersetzen. Rechtsklarheit ist damit vorerst nicht geschaffen, denn ein solches Vorabentscheidungsverfahren dauert im Schnitt 16 Monate.
Damit es zukünftig nicht zu weiteren widersprüchlichen Entscheidungen zu Mindestsatzklagen kommt, können diesbezügliche Klagen solange ausgesetzt werden, bis der EuGH über die ihm nun vom BGH vorgelegten Fragen entschieden hat.
Auf Grund der langen Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens und nachdem derzeit nicht absehbar ist, in welche Richtung der EuGH letzten Endes tendieren wird, ist die Erhebung von Mindestsatzklagen sehr gut zu überlegen, da ein langwieriges Verfahren zu erwarten ist und ein erhebliches Prozessrisiko besteht.
Hans Küßwetter
Rechtsanwalt