
Mathias Pfeil Prof. Dipl.- Ing. Architekt Generalkonservator Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
Städte und Gemeinden gehören zu den wichtigsten Partnern in der Denkmalpflege. Gerade Gemeinden im ländlichen, meist strukturschwachen Raum, haben oft nicht die finanziellen Mittel, Konzepte und Maßnahmen zu entwickeln, um mittel- und langfristig die Identität ihres Ortes zu bewahren. Diese begründet sich großteils durch Denkmalwerte (Einzeldenkmäler und Ensembles) und historische Strukturen. Daher wurde vor knapp zwei Jahren vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) das “Kommunale Denkmalkonzept” (KDK) als “historisch informierte Planung” mit der Zielsetzung entwickelt, Gemeinden als eigenverantwortliche Partner in der Denkmalpflege bei der Erhaltung und Gestaltung ihres kommunalen Erbes zu unterstützen und zu aktivieren.
Das KDK als „historisch informierte“ Planung zur Weiterentwicklung eines Ortes:
Ziel eines KDK ist es, Städten und Gemeinden mit aktiver Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ein zukunftsfähiges Entwicklungskonzept für ihren historischen Baubestand, also meist der Ortskerne, an die Hand zu geben. Basis ist die “historische DNS” eines Ortes, denn “heimatbezogene Zukunftsplanung” kann nur dann gelingen, wenn erst einmal die historischen Grundlagen ermittelt und erkannt worden sind. Damit unterscheidet sich ein KDK auch ganz grundsätzlich von zunächst vergleichbar erscheinenden Initiativen, wie der Städtebauförderung oder der Dorferneuerung. Während es in der Städtebauförderung darum geht, sogenannte “städtebauliche Missstände” zu beheben und in der Dorferneuerung, das “Gemeindeleben auf dem Dorfe” zu stärken, will ein KDK in drei Schritten einer Gemeinde sehr konkrete, auf ihrer spezifischen Eigenart beruhende und damit erst zukunftsfähig werdende Hilfestellung leisten. Nur wenn “das Besondere” eines Ortes bekannt ist, sind tragfähige Vorschläge für die Zukunft möglich.
Ein KDK entsteht in drei Schritten:
- Im ersten Schritt werden die ortstypischen Besonderheiten, also die historische DNS, ermittelt. Jede bauliche Anlage ist ein Spiegel seiner Erbauer und zeigt wie diese zur Entstehungszeit des Gebäudes gelebt, gearbeitet und geliebt haben. Ebenso ist der Ort selbst ein solcher Spiegel der Geschichte und zwar in direkter Auseinandersetzung mit seiner Geografie, dem Klima und der umgebenden Natur. Kein Gebäude, kein Dorf und keine Stadt sind “grundlos” entstanden, wie wir sie heute sehen. Diese Gründe zu ermitteln ist einer der wichtigsten ersten Schritte eines jeden KDK. Die denkmalfachliche Bestandsaufnahme umfasst nicht nur die Denkmäler selbst, sondern auch die sonstige erhaltenswerte Bausubstanz, die zusammen mit den Denkmälern die Grundlage des historischen Ortsbildes darstellt. Für die Identität eines Ortes sind neben diesen Gebäuden auch die strukturellen Zusammenhänge im Ort wichtig, weshalb auch Straßen- und Platzräume, Grün- und Freiräume, historische Wasserflächen und -läufe, Fußwege und historische Ortsränder im Hinblick auf ihren identitätsstiftenden Beitrag bewertet werden.
- In einem zweiten Schritt werden die Probleme und Potenziale in Bezug auf die Denkmalwerte aufgezeigt und in einem Ziel- und Maßnahmenplan zusammengefasst. In diesem können beispielsweise Vorschläge zur Nachverdichtung enthalten sein, oder Maßnahmen, die das identitätsprägende Ortsbild hervorheben. Zum Maßnahmenplan zählen auch allgemeine Leitlinien und konkrete Handlungsempfehlungen im Umgang mit der erhaltenswerten Bausubstanz sowie Empfehlungen zur Weiterentwicklung struktureller historischer Werte. Diese Aufgaben sind nur unter Mitwirkung von Verwaltung, Lokalpolitik und Bürgern zu bewältigen, weswegen hier sinnvolle Formen der dialogischen Planung eingesetzt werden müssen.
- In einem dritten Schritt werden schließlich die einzelnen Vorschläge sehr viel konkreter. Zielgerichtet werden, ausgehend vom denkmalpflegerischen Maßnahmenplan beispielhafte Lösungen aufgezeigt wie etwa Musterentwürfe für bestimmte, häufiger auftretende Probleme, z.B. bei leerstehender historischer landwirtschaftlicher Bausubstanz. Oder es werden Nutzungskonzepte in Machbarkeitsstudien weiterentwickelt, im Einzelfall auch schon Kontakte mit möglichen Bauherren oder Investoren hergestellt. Fördermöglichkeiten und Finanzierungskonzepte können ausgelotet, und individuelle Beratungen durchgeführt werden. Vorrang hat die Innenortsentwicklung, denn durch die Reaktivierung leergefallener oder untergenutzter Gebäude soll weiterer Flächenfraß vermieden werden.
Diese historisch informierte Planung – das Kommunale Denkmalkonzept – ist eine neue Grundlage für nachhaltige, ressourcenschonende und damit zukunftsfähige Ortsentwicklung. Unter dem Aspekt “Zukunft braucht Herkunft” wird dabei der Fokus auf das Typische eines Ortes, auf dessen Einzigartigkeit gelegt und dafür eine konkrete Entwicklungsperspektive vorgeschlagen, welche diese “Persönlichkeit eines Ortes” in die Zukunft führt. Somit ist das KDK ein individueller Fahrplan für jede Kommune, mit dem sie ihre historischen Stärken für die Zukunft erhalten und weiterentwickeln kann.
Nicht ohne die Bewohner:
Die prozessbegleitende Bürgerbeteiligung des Kommunalen Denkmalkonzeptes sieht verschiedene Möglichkeiten der Teilnahme, wie Befragungen und Diskussionsforen, oder konkrete Mitwirkung an Themen der Denkmalpflege, vor. Zum jetzigen Zeitpunkt (Februar 2018) wurde dieser Prozess in rund 20 bayerischen Dörfern und Städten gemeinsam mit den Kommunen begonnen. Neben der Erarbeitung städtebaulich-denkmalpflegerischer Zielplanungen widmet sich ein Großteil der Konzeptinhalte der Einbeziehung, Information, Befragung und Aktivierung der Bürger für ihr historisches Erbe. Jedes Kommunale Denkmalkonzept verfolgt dabei einen qualifizierten, auf die spezifische Situation vor Ort und die damit verbundene Fragestellung abgestimmten Ansatz der Information, Befragung und Beteiligung.
Der Beteiligungsprozess im KDK wird begleitet und unterstützt durch die Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien der Universität Bamberg. Bürgerbeteiligungsprozesse sollen gesammelt, verglichen und evaluiert werden, wobei drei Schwerpunkte von besonderer Bedeutung sind:
- die Diskussion neuer Ansätze in der Denkmaltheorie,
- die vergleichende Herausarbeitung von internationalen Strategien für eine partizipativere städtebauliche Denkmalpflege,
- die Anwendung qualitativer Forschungsmethoden im projektbezogenen, kommunalen Rahmen, die aufdecken sollen, inwiefern unterschiedliche kommunale Akteure städtisches Erbe bewerten und wie diese Auffassungen durch die institutionelle Denkmalpflege unterstützt werden können.
Verwendete Formate sind explorative Stadtbegehungen mit Bürgern oder Interessengruppen, die teilnehmende Beobachtung sowie Meinungsumfragen im Rahmen von besonderen Ereignissen des kommunalen Lebens (z.B. Bürgerfest, Stadtfest, Tag des offenen Denkmals usw.). In Planung ist derzeit der Einsatz von digitalen Anwendungen zur niederschwelligen Informationsbereitstellung und Befragung der Bürger über das bauliche und strukturelle Erbe ihrer Kommune.
Auf Grundlage dieser Beteiligungsformate lässt sich ein auf repräsentativen Parametern aufbauendes lokales Meinungsbild in den untersuchten Kommunen zeichnen, das Auskunft darüber gibt, wie Themen der Denkmalpflege in der lokalen Bevölkerung verstanden werden. Daraus können Aussagen zur lokalen Akzeptanz und Wertschätzung sowie zum Stellenwert von Baudenkmälern und historischen Strukturen in der jeweiligen Kommune abgeleitet werden.
Denkmal und Heimat:
Ziel eines Kommunalen Denkmalkonzeptes ist es, Wertschätzung des historischen Bestands zu fördern. Damit ist das KDK ein wichtiges Instrument gegenüber ausuferndem Flächenfraß sowie gegenüber der Ausweisung gesichtsloser Neubaugebiete, wie dies leider heute noch, gerade in ländlichen Gemeinden weithin übliche ist.
Ortskerne sind Stätten historisch gelebter Heterogenität. Nutzungsmischungen waren und sind hier das Besondere. Gerade in der Verbindung mit einer meist sehr hohen regional- und lokaltypischer Aufenthaltsqualität sind historische Ortskerne besonders geeignet, „Heimatgefühl“ entstehen zu lassen. In einer Zeit immer schneller fortschreitender Veränderung des Gewohnten, durch z.B. Digitalisierung, Globalisierung und vereinheitlichende, oft gesichtslose Architektur, kommt der Erhaltung wieder besondere Bedeutung zu. Im Spannungsfeld der Veränderung von Vertrautem und Verlustängsten wird die Zielsetzung des „Bewahrens“ zu einem zentralen und hochaktuellen Aspekt, der der die Menschen in einer Zeit umtreibt, die deutlich schnelllebiger und mehr global als regional geworden ist. Dabei erwirbt man sich Heimat inzwischen seltener durch Geburt, als eher durch die Aneignung und damit das Engagement für die Umgebung, in der man lebt.
Heimat ist dabei als verbindender Wert zu verstehen und nicht als Mittel zur Ausgrenzung. Heimat ist vielmehr die Möglichkeit sich mit den Besonderheiten eines Ortes auseinanderzusetzen, sich zu identifizieren, und damit ein Mittel zur gelungenen Integration. Lokal- und regionaltypische Gebäude, wie es in besonderer Weise Denkmäler sind, machen einen Ort erst unverwechselbar und sind daher auch für die Integration „neu Hinzugekommener“ von besonders hoher Bedeutung. Denkmäler tragen entscheidend zur Vertrautheit mit einem Ort bei.
Ein besonderes Ziel eines KDK ist der Erhalt lokaler und regionaler Unverwechselbarkeit. Um „Vertrautheit“ zu erhalten, werden historische Ortskerne mit ihrer Unverwechselbarkeit auf ihre möglichen Potentiale hin untersucht und als Stätten historisch gelebter Heterogenität wieder zum Zentrum gesellschaftlichen Lebens gemacht. Dabei kommen dem Wohnen, Leben und Arbeiten genauso wie der Stärkung der Aufenthaltsqualität gleichrangige Bedeutungen zu. Diese Orte zu stärken und wieder zum Ziel der Ansiedelung zu machen, das ist die Kernaufgabe eines KDK. Damit dies gelingt, ist das Wissen über die Geschichte eines Ortes von elementarer Bedeutung, denn nur so können zukunftsfähige Vorschläge gemacht werden. Geschichte findet laufend statt und wir sollten lernen zu verstehen, dass das Ignorieren des Vergangenen auch bei der Planung keine Basis für eine erfolgreiche Zukunft sein kann.
Das KDK stellt gerade wegen seines Bezugs zur „Heimat“, ein neues, auf historischen Grundlagen beruhendes, zeitloses Planungsinstrument zur nachhaltigen und damit in besonders hohem Maße zukunftsfähigen Weiterentwicklung für Städte und Gemeinden dar.
Mathias Pfeil
Prof. Dipl.- Ing. Architekt
Generalkonservator Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege