Der Ausgang des Referendums in Großbritannien am 23.6.2016 bewegt, wie man sehr deutlich an der Reaktion der Börsen erkennen kann, nicht nur Europa, sondern die ganze Welt.
Den Anhängern des Brexit mag das einen Moment lang geschmeichelt haben, aber Tag für Tag wird deutlicher, dass es sich um einen Pyrrhus-Sieg handelt. Den größten Schaden eines Austritts aus der EU wird Großbritannien haben und dort wiederum die Jugend und damit die Zukunft des Landes.
Einmal mehr sehen wir die Gefahren, die von Demagogen, Populisten, Vereinfachern und Verdrehern der Wahrheit ausgehen. Und einmal mehr sehen wir, wie ein Land in zwei ungefähr gleich große Lager zerfällt. Wie diese sich jeweils zusammensetzen, kann nicht so leicht vorhergesagt werden. Das einfache Muster Alt gegen Jung, Land gegen Stadt, hohe Bildung gegen geringere Bildung trifft auf Schottland und Nordirland offensichtlich nicht zu. Ergibt sich das Wahlverhalten also aus der Frage: „Bin ich ein Gewinner oder ein Verlierer (einer EU-Mitgliedschaft, der Globalisierung, der Automatisierung, der Digitalisierung, der modernen Zeiten oder des Lebens überhaupt)?“
Unabhängig von diesen sehr persönlichen Beweggründen – auch wenn sie wahrscheinlich die ausschlaggebenden sind – kennen wir alle das Mantra der Politiker: „Schuld sind immer die anderen“! Nationale Politiker machen die EU für alles verantwortlich, was nicht gut läuft. Für die Europa-Politiker und die Kommission liegt es immer an der mangelhaften nationalen Umsetzung ihrer Verordnungen und Maßnahmen.
Gerade als Mitglieder der Freien Berufe sehen wir sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft das Fehlen einer „Kultur der persönlichen Verantwortung“. Jeder Einzelne ist für sein Tun und Lassen verantwortlich. Das muss dringend wieder in den Vordergrund gerückt werden. Und das gilt besonders für das Nicht-Tun. Wer nicht hilft, wer wegschaut, wer sich nicht für die offene, tolerante und friedfertige Gesellschaft einsetzt, wer lieber immer seinen Mund hält, ist genauso verantwortlich für die Folgen seines Unterlassens wie die Hetzer und Demagogen für die Folgen ihres Tuns.
Wer aber überzeugt ist von der friedenstiftenden Wirkung der Europäischen Union und dem Wert der offenen und toleranten europäischen Gesellschaften auf dem Boden des Humanismus, der Aufklärung und der regionalen Vielfalt, muss sich auch nach dem Referendum darum bemühen, Brücken zu England aufrecht zu erhalten.
Für uns Architektinnen und Architekten gibt es dafür den Architect’s Council of Europe (ACE), der sich schon immer weiter definiert als die Grenzen der EU. Dort brauchen und wollen wir den Beitrag und die Mitwirkung unserer englischen Kolleginnen und Kollegen. Mit ihnen wollen wir weiter für mehr Baukultur, mehr Austausch und eine bessere Welt für unsere Kinder kämpfen.
Alexander Schwab
Vizepräsident VfA